Rassismus im Amateurfußball - Wenn Spieler das Spiel beenden müssen
Hinter uns liegt eine dieser ungeliebten Länderspielpausen. Doch statt der klassischen Stammtischthemen der vermeintlich 80 Millionen Bundestrainer*innen des Landes (“Er muss den Hummels zurückholen, die anderen sind doch noch grün hinter den Ohren” oder “Die schaffen es ihr Spiel über 90 Minuten durchzuhalten”) hinterließen die nationalen Vergleiche dieses Mal Eindrücke, die auch über teure Karten und schlechte Stimmung bei den Spielen der “Mannschaft” hinausgehen.
Salutierende Spieler und grüßende Fans
In den Quali-Spielen gegen Albanien und Frankreich salutieren türkische Spieler beim Torjubel den kämpfenden Truppen in den syrischen Grenzgebieten und schreiben damit das nächste Kapitel von der Mär des unpolitischen Sports. Ilkay Gündogan und Emre Can liken das auf Instagram. Und obwohl beide damit keine politische Aussage tätigen wollten, das Bild wieder entliken und sich vom Angriffskrieg der Türkei distanzieren, schwappt der militante Torjubel wie eine Iced-Bucket-Challenge über auf die Bolzplätze der Republik. Die Integrations- bzw. Loyalitätsdebatte um deutsche Nationalspieler oder Amateurfußballerinnen mit türkischer Abstammung scheint noch nicht überwunden.
Den bulgarischen Fans beim Heimspiel gegen England ist es in negativster Art und Weise zu verdanken, dass diese Thematik nicht wie nach dem Erdogan-Foto von Özil und Gündogan die Presse beherrscht. Militärgruß der türkischen Spieler? Hold my Beer, müssen sich einige der Fans gedacht haben: Einzelne englische Nationalspieler werden ausgepfiffen, beschimpft und mit Affenlauten begleitet - wegen ihrer Hautfarbe. Jeder Ballkontakt von Raheem Sterling, Danny Rose oder Tyron Mings bringt das Publikum in Rage. Letzterer beschwert sich Mitte der ersten Halbzeit beim Schiedsrichter: Did you hear that? Hast du das gehört? Das Spiel wird unterbrochen. Die bulgarischen Fans reagieren mit Hitlergrüßen; die hässlichste Fratze pseudo-politischer Gesten. Die englischen Spieler antworten auf sportlicher Ebene, scheinbar unbeeindruckt: Die sechs wunderbar herausgespielten Tore werden von den mitgereisten Gästefans mit „Who put the ball into the racists’ net?“-Gesängen begleitet und ergeben ein für den Gastgeber noch glimpfliches 0:6 auf der Anzeigetafel. Angesichts der geschmacklosen Entgleisungen auf den Rängen das beste, was Bulgarien aus diesem Spiel mitnehmen kann.
Nach dem Spiel wird Trainer Krassimir Balakov sagen, er habe nichts gehört. Der bulgarische Verband wird eine Strafe von der UEFA bekommen - ob es hilft? Denn es war nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass bulgarische Fans mit rechtsradikalen und rassistischen Geschmacklosigkeiten die sportliche Dimension eines Fußballspiels untergruben und so traurig es ist, zur Nebensächlichkeit verkommen ließen. Der Lernprozess beim nationalen Verband, den Fans sowie der Uefa ist im besten Fall ausbaufähig.
Rassismus im Amateurfußball
Und jetzt? Länderspielpause ist ja nur alle paar Wochen und Bulgarien so viele Kilometer entfernt.
Wenn die Kampagne des europäischen Fußballverbandes die so geschimpften Fans bei Spielen auf internationaler Bühne nicht erreicht, wie sollen Messi, Bale und Co. mit der Aufforderung „Sag Nein zu Rassismus“ die Fans auf den Klappstühlen am Kreiderand der Kreisliga A erreichen? Zum Beispiel in Deutschland.
Erst Anfang des Jahres berichtete der Spiegel über ein Spiel in der Hamburger Oberliga, das die Gastmannschaft des Meiendorfer SV geschlossen nach 76 Minuten verließ, da einer ihrer Spieler von einem Zuschauer rassistisch beleidigt wurde. Weil die Mannschaft damit ein klares Zeichen für ihren Spieler und gegen Rassismus setzte, landete der Fall in der Presse. Die meisten solcher Vergehen werden jedoch übergangen, verschwiegen oder verharmlost: Alltagsrassimus, der von einem Großteil vielleicht nicht böse gemeint ist (“Ach, der weiß doch, wie ich das meine”), vielleicht gar nicht als solcher wahrgenommen wird, jedoch verletzend für seine Empfänger ist. Demnach kann man zu den in der Spielzeit 2016/17 2800 gemeldeten Fällen von Rassismus im Amateurfußball (Spiegel) eine deutlich höhere Dunkelziffer addieren.
Da es bei diesen Spielen wenig Offizielle, bzw. objektive Zuschauer gibt und der Schiedsrichter meist auf sich allein gestellt ist, sind solch couragierte und vor allem kompromisslosen Handlungen, wie die des Meiendorfer SV notwendig.
Catenaccio gegen Rassismus
„Kein Fußball den Faschisten“ hängt als Banner hinter dem Tor des Platzes in der Berliner Wrangelstraße. Die Spielerinnen und Spieler auf dem Platz der FSV Hansa 07 tragen Trikots mit der Aufschrift „Catenaccio gegen Rassismus“ – dort wo sonst ein Sponsor wirbt. An der Seitenlinie schwenken Fans die Vereinsfahne – in Regenbogenfarben. Ein Verein lebt Antifaschismus, Diversität und Integration.
Der Slogan auf dem Trikot entstand in den 1990er Jahren als Reaktion auf die rassistisch motivierten Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen und anderen deutschen Städten. Harald "Halla" Tolksdorf zögerte nicht lange und rief gemeinsam mit seiner "Babs" die Aktion ins Leben. Und Hansa druckte die Parole das erste Mal auf die Trikots. "Gemeinsam bilden wir einen unteilbaren Abwehrriegel gegen jede Form von Diskriminierung im Fußball, im Sport sowie in allen Bereichen unserer Gesellschaft", erklärt auch heute die Facebook-Seite. 2014 starb "Halla", doch seine Neu-Interpretation des italienischen Verteidigungsfußballs wird den Verein auch in Zukunft prägen.
Champions ohne Grenzen
Da passt es ins Bild, dass die Champions ohne Grenzen, ein Projekt, das Geflüchteten in Berlin die Möglichkeit bietet, Fußball zu spielen, zuerst in der liebevoll sogenannten „Wrangelritze“, dem Sportplatz des FSV eine sportliche Heimat fanden. Drei Mal die Woche bietet der Verein offene Trainings für Geflüchtete an, die so „ohne bürokratische Grenzen und ohne Vorurteile“ Fußball spielen können, informiert die Website. Da der Verein selbst nicht am Spielbetrieb teilnehmen kann, werden Spieler und Spielerinnen an Berliner Vereine vermittelt.
Das Spiel des Meiendorfer SV wäre wahrscheinlich einfach weiterverlaufen, ebenso das der Engländer in Bulgarien. Spieler und Fans, Trainer und Offizielle hätten wohl auch die verbleibenden Minuten weghören oder es über sich ergehen lassen können, am Ende haken die Betroffenen es einfach ab und die Grenze des Sagbaren hat sich noch einmal weiter nach rechts verschoben. Das jeweilige Einschreiten von Spielern verhinderte das jedoch und ermutigt hoffentlich alle an und auf den Plätzen im Profi- oder Amateursport genauer hinzuhören und rassistische oder andere diskriminierende Äußerungen nicht als Fußballsprech zu verharmlosen.
Fotos: Hansa 07