Gefangen im goldenen Käfig
Als unser Projekt- und Social-Media-Manager Bernardo ins Flugzeug nach Peru stieg, gab es Corona quasi noch nicht. Als er 15 Stunden später wieder ausstieg, war alles anders. Was ein gewöhnlicher Urlaub im Heimat-Land seiner peruanischer Mutter werden sollte, wurde für „Berni“ zu einer Odyssee, die vor wenigen Tagen wieder in Deutschland endete.
Bernado, zunächst einmal: Welcome back! Wie ist es für dich, wieder in Deutschland zu sein?
Ich bin extrem glücklich und dankbar, zurück zu sein. Meine Familie und ich sind gesund, das ist das wichtigste. Und trotz der Einschränkungen in Deutschland derzeit: Ich spüre hier eine ganz andere Freiheit als in Peru.
Anfang März bist du dorthin aufgebrochen, mit deinen Eltern und Geschwistern sowie Nichte und Neffe. Wie war die Situation damals?
In Deutschland wurde Corona noch kaum ernst genommen, in Peru und ganz Südamerika gab es überhaupt keinen Fall. Im Nachhinein betrachtet wären wir natürlich besser hiergeblieben, aber das Thema kam quasi erst so richtig auf, als wie in der Luft waren. Fünf Stunden vor unserer Landung wurde der erste Fall in Peru bekannt, ein Infizierter aus Frankreich. Und da unser Flug über Paris ging, wurde bei uns sofort Fieber gemessen, wir mussten Papiere ausfüllen und so weiter.
Das Land ergriff also extrem schnell erste Maßnahmen. Wie ging es weiter?
Die erste Woche verlief ganz normal für uns, wir konnten den Urlaub genießen. Nach und nach wurden jedoch Veranstaltungen abgesagt, es kam immer mehr Panik auf. Man muss wissen, dass das Gesundheitssystem in Peru sehr schlecht ist. Was beim Stand von „nur“ 71 Infizierten folgte, war eine Rede des Präsidenten, der eine Ausgangsperre verhängte und ein komplettes Ein- sowie Ausreiseverbot erlies. Wie schauten uns an und fragen uns: ‚Und was tun wir jetzt?‘
Was bedeutete die Ausgangssperre konkret?
Ausnahmezustand. Polizei und Militär räumten die Straßen und teil ganze Viertel, die sonst schwer kontrollierbar sind. Von 20 bis 5 Uhr durfte keiner einen Schritt vor die Tür setzen – es kursierten Videos, die zeigten, wie ein Mann abgeführt wurde, nachdem er 20.05 Uhr seinen Müll rausbrachte. Erschreckende Szenen aus Italien schwappten rüber. All das hat noch mehr Angst geschürt – aber auch dafür gesorgt, dass sich die Peruaner strikt an die Regeln hielten.
Und ihr sicher auch. Was konntet ihr denn überhaupt noch machen?
Nicht viel, wir haben jeden Tag Karten gespielt. Und einkaufen war tagsüber erlaubt, allein und mit Schutz-Maske. Also bin 3-mal täglich einkaufen gegangen, quasi für jede Mahlzeit. Ich habe immer gehofft, dass irgendwie noch ein Ei oder etwas Gemüse fehlt. Im Supermarkt hat man auch Deutsche getroffen und somit gewissermaßen dort ein Stück Heimat gefühlt – so verrückt es klingt. Draußen wurde man wiederum sofort vom Militär gefragt, wohin man denn wolle. Ich fühlte mich wie in einem Film. Und natürlich quengelten vor allem die Kinder zunehmend rum, denn jeder Tag war gleich, und wir wussten nicht, wann wir nach Hause konnten.
Am Tag nach der Präsidenten-Rede wart ihr an der deutschen Botschaft…
… wie viele andere auch. 4000 Deutsche waren zu der Zeit in Peru. Wir trugen uns in eine Online-Liste und dann hieß es warten und ausharren. Wir waren quasi gefangen in einem goldenen Käfig, denn die Gegend, in der wir wohnten, am Rande Limas direkt an der Küste, war wunderschön. Ich habe mir extra längere Wege zu den Supermärkten gewählt, um die Umgebung zumindest noch etwas genießen zu können. Und man muss ohnehin sagen: Anderen ging es deutlich, deutlich schlechter als uns.
Wen meinst du damit konkret?
Um viele der 14000 Touristen im Land, die nicht aus Deutschland sind, wurde und wird sich überhaupt nicht gekümmert. Aber weshalb mein Herz vor allem weinte - als jemand, der eigentlich stolz ist, peruanische Gene in sich zu tragen: Viele Peruaner können nicht mehr in ihr eigenes Land. Es kam sofort zu Protesten an den Grenzen, Eltern können nicht mehr zu ihren Kindern. Das ist einfach nur traurig.
Wie hast du ansonsten die Auswirkungen im Land wahrgenommen?
Man muss wissen, dass viele Peruaner mit ihrem wenigen Geld von Tag zu Tag leben, von 30 Millionen Einwohnern sind sogar 10 Millionen offiziell arm. Für deren Familie gab es dann eine Sofort-Hilfe von 100 Euro für die zunächst verhängte 2-wöchige Ausgangssperre. Aber: Es gibt auch viele Einwanderer vor allem aus Venezuela, die nicht mal registriert sind, die kein richtiges zu Hause haben. Die Kriminalität stieg bereits, es wurden zuletzt 2 Polizisten getötet. Es ist zu befürchten, dass es noch schlimmer wird, zumal auch nicht klar ist, ob es weitere finanzielle Hilfe vom Staat geben kann. Keiner weiß, wie es weitergeht. Insgesamt ist die Corona-Pandemie besser unter Kontrolle als Europa, es gibt immer noch nur knapp 1000 offiziell Infizierte. Aber werden es deutlich mehr, könnte es katastrophal enden. Sehr viele Menschen würden sterben, auch an Hunger.
Gab es positive Zeichen in dieser schwierigen Zeit?
Täglich kurz vor 20 Uhr sind alle Menschen an die Tür gegangen, um gemeinsam laut zu klatschen. Es wurde „Viva Peru“ gebrüllt, die Nationalhymne erklang - das war Gänsehaut pur. Im Land herrscht ein großes Gemeinschaftsgefühl, jeder hilft seinem Nachbarn.
Wie verlief eure Rückholaktion?
Zunächst gab es fünf Tage keine Genehmigung für den geplanten Rückholflug von Peru nach Frankfurt. Wir wurden jedoch über das Auswärtige Amt immer hervorragend informiert – letztlich auch darüber, dass ein Flug nun bestätigt sei. Jedoch sollten zunächst nur meine Eltern abgeholt werden, weil sie zur Risikogruppe gehörten. Am Tag vor dem Flug erhielten wir aber die Nachricht, dass wir doch alle mitkonnten – auf einem späteren Dokument fehlten dann allerdings zwei Namen. Wir dachten uns: „Oh nein, so kurz vor dem Ziel“. Der Fehler wurde dann doch noch korrigiert, sodass wir letztlich um 22 Uhr wussten, dass wir den Rückflug am nächsten Morgen nehmen konnten.
Um 6 Uhr musstet ihr an einem bestimmten Ort sein…
Und auch da hatten wir noch mal Angst, zu spät zu kommen, weil wir aufgrund der Ausgangssperre lange kein Taxi bekommen hatten. Mit Sondergenehmigung durften wir also zu dem Ort fahren, von dem aus wir mit peruanischen Militär zum Militärflughafen gebracht wurden. Dort wurden wir in einem provisorischen Zelt noch mal gecheckt, Ausreisestempel, und rein in den Flieger. Trotz all der Hindernisse bin ich sehr stolz und dankbar, wie das Auswärtige Amt für uns alles arrangiert hat.
Du konntest den ersten Flug Heim nehmen, viele Deutsche sind jedoch noch in Peru…
Und zwar rund 2000, von denen viele immer noch nicht mal in Lima sind und dort auch kaum hinkommen. Viele sitzen seit drei Wochen fest, können teils gar nicht mehr raus, weil es in einigen Städten Listen gibt, in denen man sich nur ab und an zum Einkaufen gehen eintragen kann.Diese Ungewissheit ist schlimm. Ich denke noch oft an die Deutschen, die dort weiterhin festsitzen. Und ich hoffe für das gesamte Land, dass es diese Krise irgendwie übersteht.