Depressionen im Fußball - eine Geschichte

10 Jahre nach Robert Enke - Depressionen im Fußball

Eigentlich will Karl nicht zum Spiel. Trotzdem packt er seine Sporttasche, seine Gedanken kreisen unaufhörlich: „Du kannst nicht wieder absagen, du kannst die Mannschaft nicht wieder im Stich lassen, nicht noch eine Ausrede suchen.“

Am Platz angekommen atmet Karl kurz durch, seine Mitspieler sind schon da, er stellt die Gedanken ab. „Jo, was geht?“, fragt er in die Runde und gibt jedem einen Handschlag, bemüht das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.

Anpfiff. Die negativen Gedanken sind verflogen, die Ängste auch. Dann der erste Fehlpass. Wo andere unkommentiert weiterspielen, entschuldigt Karl sich mehrfach bei der Mannschaft, ist von sich enttäuscht. Und die Gedanken sind wieder da. Jetzt gelingen die leichtesten Dinge nicht: Ballannahme, Passspiel etc.

10 Jahre nach Robert Enke

Depressionen sind seit dem Tod Robert Enkes in den öffentlichen Diskurs des Profisports, des Fußballs, ja mehr denn je der gesamten Gesellschaft gelangt. Diese Woche jährte sich zum zehnten Mal der Freitod der ehemaligen Nummer Eins bei Hannover 96 und der deutschen Nationalmannschaft. Und unweigerlich stellt sich die Frage: Was hat sich seitdem getan?

Karl sieht man die Depression nicht an. Für seine Mitspieler hatte er einfach eine schlechte Form – das passiert im Sport. Karl selbst fällt es schwer, sich seine Depression als Krankheit einzugestehen und projiziert diese Einstellung auf seine Mitspieler. Manchmal stellt Karl sich vor, sich der Mannschaft zu öffnen, seine Depression zu thematisieren, dabei zweifelt er nicht an dem Verständnis seiner Mannschaft. Vielmehr fürchtet er, dann von der Mannschaft anders behandelt zu werden.

Depressionen im Amateurfußball

Denn wo sich der Amateur- vom Profifußball nicht unterscheidet, ist sein rauer Charakter, seine mitunter raue Sprache, die archaisch-männlichen und heteronormen Verhaltensweisen, die er einfordert. Die Anerkennung von Depression auch als physischer Krankheit schreitet besonders in solchen Bezugskreisen nur langsam voran – aber sie schreitet.

Karl hat sich zwei Mitspielern anvertraut, das hilft ihm nicht, abzusagen, wenn es ihm nicht gut geht. Manchmal versuchen sie sogar ihn zu überreden: „Vielleicht geht es dir dann besser? Du kannst auch erstmal zuschauen.“ Manchmal lässt Karl sich überreden und vergisst die negativen Gedanken für die Zeit. Fußball tut ihm gut – er bekämpft jedoch nur die Symptome.

Amateurfußballer sind nicht dem enormen öffentlich Druck des Profisports ausgeliefert: Hier wird nicht der Lebensunterhalt verdient, er ist nicht existenziell. Aber ein gewisser Druck herrscht auch hier, allein die gewissermaßen verlangte Anwesenheit wie bei Karl – und vielmehr noch die Unsicherheit, was passiert, wenn man seine Erkrankung öffentlich macht.

Ca. 8,2 % der deutschen Bevölkerung sind an Depressionen erkrankt (AOK Bundesverband). Es ist einfach zu erfassen, wie viele das in den allein mehr als 7 Millionen Mitgliedern in deutschen Fußballvereinen sind. Und es ist damit ebenso einfach zu erfassen, welchen positiven Einfluss Amateurvereine auf das gesamtgesellschaftliche Problem Depressionen nehmen können.

Die Mannschaft ist Karl vertraut – einige sind seine Freunde. Zwei Mal die Woche Training und am Wochenende Spiel. Danach sitzen sie meist zusammen, quatschen über alles Mögliche. Hoffentlich bald auch über Karls Krankheit.

Auch interessant