Diese Start-ups haben es auch ohne „Löwen“ geschafft

Zu hohe Bewertung, kein Massenprodukt - sind Produkte, die in der Investoren-Show „Die Höhle der Löwen“ durchfallen, automatisch zum Scheitern verurteilt? Im Gegenteil. Vier Erfolgsgeschichten von Periodenunterwäsche bis Stickeralbum. Das Produkt kann toll sein, die Gründerinnen und Gründer kompetent wirken. Eine Garantie dafür, dass ein Start-up in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ einen Deal bekommt, ist das noch lange nicht. Immer wieder rutschen richtig gute Ideen einfach durch, als Zuschauer sitzt man in solchen Fällen oft ungläubig vor dem Fernseher.

Doch wie schlimm ist so eine Absage der „Löwen“ für die Start-ups? Kommen sie auch ohne das Geld und das Know-how von Carsten Maschmeyer, Judith Williams, Ralf Dümmel und den anderen klar? Hier berichten vier Gründerinnen und Gründer, wie es ihren Unternehmen nach der Absage im TV geht.

Maison Baum

Bequeme High Heels - klingt einfach, gibt es aber nicht wirklich. Christof Baum, Sohn eines Orthopäden, wollte das ändern, studierte Schuhtechnik und entwickelte zusammen mit seinem Vater über vier Jahre lang einen ergonomischen High Heel. Im April 2019 war er dann in der „Höhle der Löwen“, mit seinem Unternehmen Maison Baum. Ausgestrahlt wurde im März 2020, gemeinsam mit Modefachfrau Sophie Tréhoret rief er 200.000 Euro für 15 Prozent auf. Es gab viel Interesse und Lob der Löwen, aber keinen Deal. Baum berichtet, was seit der Aufzeichnung passierte.

„Zunächst war es natürlich ein harter Schlag, dass wir keinen Deal bekommen haben. Denn es war klar: Ohne neues Kapital können wir keine neuen Modelle launchen. Wir haben uns dann nach der Show auf unseren Onlinehandel fokussiert und ein Crowdfunding gestartet, um weitermachen zu können. Das hat hervorragend geklappt und ging wirklich durch die Decke! Im Nachhinein und aus der jetzigen Corona-Perspektive war es fast ein Glücksfall, dass wir uns so stark auf Online konzentrieren mussten, statt alles für den Start im stationären Handel vorzubereiten - worauf wir mit einem ‚Löwen‘ ja eigentlich gehofft hätten. Schon vor der Ausstrahlung waren wir auf Wachstumskurs, haben 2019 in neun Monaten rund 300.000 Euro Umsatz gemacht. Der Effekt der Ausstrahlung hat dann aber unsere kühnsten Erwartungen übertroffen – es kamen Tausende ermutigende Nachrichten und Tausende Bestellungen. Unsere Hersteller sitzen in Portugal und Italien – da sah es erst extrem düster aus, die hohe Nachfrage trotz des Lockdowns auch befriedigen zu können. Unsere Partner geben sich aber extrem Mühe und produzieren fleißig weiter - dementsprechend müssen die Frauen derzeit aber zwei Monate auf ihre neuen Schuhe warten. Ja, mit einem Deal wäre einiges anders gelaufen. Aber man darf ja nicht vergessen: Wir haben zwar keinen Deal, aber extrem gutes Feedback bekommen. Die Begeisterung der ‚Löwinnen‘ für unser Produkt wirkte natürlich umso authentischer, da keiner damit seine Investition pushen wollte und musste. Auch wurden die Kundinnen durch diesen ‚No-Deal-Effekt‘ extrem motiviert, uns zu unterstützen und zu bestellen.

Vor einem Jahr war ich nach der Sendung echt am Boden, aber rückblickend war das wohl das Beste, was uns passieren konnte. Ja, wir hätten Zeit gewonnen, hätten schneller mit neuen Modellen starten können, wären vielleicht schon im Einzelhandel. Geld bedeutet einfach Schnelligkeit. Wir waren langsamer, aber sind durchgekommen. Was wir als Investment aufgerufen hatten, haben wir um ein Vielfaches als Umsatz eingenommen und coole neue Kundinnen kennengelernt. Und: Nach der Sendung hat sich ein Investor bei uns gemeldet, der genau die Summe investiert hat, die wir damals wollten. Also hat das auch noch geklappt!“

Ooshi

Gibt‘s noch etwas anderes als Tampons und Binden? Ooshi will Periodenunterwäsche als nachhaltige Alternative etablieren: Eine Membran in den Höschen saugt das Blut auf, nach dem Tragen wäscht man es heraus und kann das Höschen wieder tragen. Die Gründerinnen Kati Ernst und Kristine Zeller wollten im November 2019 zehn Prozent ihres Unternehmens für 300.000 Euro abgeben. Judith Williams hatte großes Interesse, doch man konnte sich nicht über die Höhe der Anteile einigen.

Hier erzählt Ernst, wie es danach weiterging.

„Wir haben total positive Erinnerungen an den Auftritt. Die Dramaturgie ist ja auch toll. Du kommst durch den Käfig rein, die ‚Löwen‘ sitzen etwas höher. Dahinter steckt viel Psychologie. Wir haben nach der Ausstrahlung viel Aufmerksamkeit und Unterstützung bekommen. Was uns gefreut hat: Es wurde nicht herausgeschnitten, dass Carsten Maschmeyer uns mit der Begründung abgelehnt hat, das sei ja ein ‚Frauenprodukt‘, weswegen er als Mann nicht investieren könne. Genau solche Reaktionen bekommen wir von Investoren oft für unsere Produkte, viele glauben das aber nicht. Aus Female-Empowerment-Sicht war die Szene deshalb super.

Im Großen und Ganzen waren die ‚Löwen‘ fair und sehr respektvoll. Allerdings haben sie unsere Bewertung als fast schon unverschämt hoch dargestellt, das schätze ich nach wie vor anders ein als sie. An dem Tag, als die Sendung ausgestrahlt wurde, haben wir den Kreativpiloten-Preis von der Bundesregierung bekommen und waren im Kanzleramt eingeladen – zwei Riesendinger an einem Tag. Der Preis geht jedes Jahr an 30 Unternehmen, die gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Das und ‚Die Höhle der Löwen‘ haben uns gezeigt, auf welchem Level unser Unternehmen inzwischen angekommen war und wie viele Menschen unsere Vision teilen, was Themen wie Frauengesundheit, Enttabuisierung der Periode und Gleichberechtigung angeht.

Im März haben wir die einhunderttausendste Ooshi verkauft, das ist verrückt. 2019, in unserem ersten Geschäftsjahr, haben wir mehrere Millionen Euro Umsatz gemacht. Trotz der Corona-Krise wachsen wir bisher jeden Monat weiter. All das zeigt uns: Wir sind kein Luxus-, sondern ein Bedarfsprodukt. Herr Dümmel würde sagen, es ist ein ‚Problemlöser‘. Zur Zeit der Sendung hatten wir drei Höschen-Schnitte, inzwischen ist unsere Produktpalette viel breiter, es gibt jetzt zum Beispiel auch einen Still-BH mit unserer Membran, das macht das Wegwerfprodukt Stilleinlagen überflüssig. Nach der Sendung sind viele Investoren auf uns zugekommen, das ist auch immer noch so. Es haben sich auch ganz sympathische Mäzeninnen bei uns gemeldet, die uns Hilfe angeboten haben. Aber wir sind immer noch komplett eigenfinanziert und damit selbstbestimmt. ‚Die Höhle der Löwen‘ war auch ein bisschen der Anstoß dazu, das ohne Fremdkapital durchzuziehen. Nach der ‚Löwen‘-Absage saßen wir im Auto und haben uns gesagt: ‚Wir machen das jetzt einfach selbst.‘“

Anm. d. Red. vom Juli 2020: Ooshi hat sich inzwischen umbenannt – in Ooia.

Stickerstars

So eine Art Panini-Album für Fans kleiner, lokaler Sportvereine oder Gruppen wie freiwillige Feuerwehren - das ist die Geschäftsidee von Stickerstars. Das Start-up nahm im September 2019 bei „Die Höhle der Löwen“ teil und pitchte um ein Investment in Höhe von 800.000 Euro für zehn Prozent der Unternehmensanteile, kein „Löwe“ stieg ein.

Hier erzählt Gründer und Geschäftsführer Michael Janek.

„Der Auftritt bei ‚Die Höhle der Löwen‘ war für uns alle im Team das Highlight des Jahres 2019 - auch, wenn wir keinen Deal bekommen haben. Vergangene Woche, zum Jahrestag der Aufzeichnung im April 2019, haben wir uns die Sendung noch einmal angesehen und viel gelacht. Was man als Zuschauer nicht gesehen hat: Unsere Präsentation hat fast zwei Stunden gedauert. Die ‚Löwen‘ haben harte Fragen gestellt, darauf waren wir aber vorbereitet, die Diskussion war fair. Aus Sicht der ‚Löwen‘ war unsere Bewertung zu hoch. Wir haben damals aber nicht alle Geschäftsfelder vorgestellt, das würden wir heute anders machen. Letztlich hat uns der Auftritt aber auch ohne Deal beflügelt. Zum einen ist unser Team dadurch gewachsen. Denn einige unserer heutigen Mitarbeiter haben uns im Fernsehen gesehen und sich deshalb bei uns beworben.

Zum anderen gab es nach ‚Höhle der Löwen‘ viele Anfragen von kleinen Vereinen, bis Ende 2019 sind 100 Sport-, Karneval- oder auch Schützenvereine als Kunden dazugekommen. Mittlerweile haben wir 600 kleinere Vereine und Gruppen im Portfolia. Das funktioniert übrigens auch in Zeiten von Corona, darauf haben wir uns mit virtuellen Fotoshootings und Online-Tauschbörsen schnell eingestellt. Auch große Bundesligisten sind auf uns aufmerksam geworden, inzwischen können sich Fans von Energie Cottbus, Paderborn, dem 1. FC Köln und Union Berlin Sammelalben anlegen. Und wir haben zwei komplett neue Geschäftsfelder erschlossen, die Show hat das beschleunigt. Wir bieten jetzt auch Alben für Hochzeiten (Stickerstars Wedding) und für Unternehmen (Stickerstars Business) an. Die Idee dahinter: Das Sammelerlebnis hilft Hochzeitsgästen oder Mitarbeitern einer Firma dabei, sich unkompliziert und spielerisch kennenzulernen. Viele Firmen, darunter mehrere Dax-Konzerne, nutzen schon Stickerstars Business. Aktuell planen wir Alben für Schulen und Abschlussklassen.

Im Nachhinein muss ich sagen: Durch ein ‚Löwen‘-Investment hätten wir sicher schneller agieren und uns auch mehr Fehler leisten können. Aber wir haben in und direkt nach der Show so viel positives Feedback bekommen, deshalb gehen wir unseren Weg mit viel Leidenschaft weiter. Und die Zahlen stimmen auch: In den ersten drei Monaten von 2020 konnten wir schon 30 Prozent mehr Projekte umsetzen als im kompletten Jahr 2019.“

Foto: Bernd-Michael Maur

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